Die meisten Leute reagieren mit einer Mischung aus Unverständnis, Entsetzen und Skepsis, wenn sie von dem Plan hören, Amerika mit dem Fahrrad zu durchqueren. Die Frage nach dem Sinn ist durchaus berechtigt, denn erwiesenermaßen kann man auch einfach in New York ins Flugzeug steigen und nach sechs Stunden Flug im Westen der USA wieder aussteigen. Der Anreiz ist schwer zu erklären, aber dennoch möchte ich hier auf der Seite berichten, wie ich letztendlich zu diesem Vorhaben gekommen bin.
Es fing alles vor etwa 10 Jahren an. Als meine Eltern eine USA-Reise planten, nahm ich mir den Atlas und kam auf die Idee, dass man ja auch einfach mal mit dem Fahrrad die USA durchqueren könnte. Ich weiß bis heute nicht genau, wie ich darauf kam, denn niemand in meiner Familie hatte jemals Radtouren unternommen und auch ich bin nicht der größte Abenteurer. Eventuell war es die Sucht nach Wetten mit meiner Schwester, die zu dieser Zeit bestand. Wir wetteten zu jeder Gelegenheit um die sinnlosesten Dinge (die Frage, wer zum 30. Lebensjahr den höheren Body-Mass-Index aufweisen würde, wurde am selben Abend zum Gegenstand einer Wette). So kam es dann auch, dass ein Wettvertrag unterschrieben wurde, der besagt, dass ich bis zu meinem 35. Lebensjahr einmal die USA von der Ostküste bis zur Westküste mit dem Fahrrad durchqueren würde. Aus heutiger Sicht ist es ärgerlich, dass ich als naiver 13-Jähriger jedes Mal dem Wetteinsatz von 50€ zustimmte. Allerdings kann ich ja nun auch darauf hoffen die besagte Body-Mass-Index Wette zu gewinnen und somit noch einmal 50€ abzustauben.
Als Startpunkt war schnell New York City ausgemacht und das Ziel sollte San Francisco sein. Ich erinnere mich noch genau, wie ich in mein Zimmer ging und “Radtour USA” googelte und die Homepage von einem Schweizer fand, der eine ähnliche Strecke gefahren war. Seit diesem Abend hatte ich den Traum auch selbst einmal ein solches Abenteuer zu begehen, von dem man ein Leben lang erzählen kann – aus eigener Kraft ein so riesiges Land zu durchqueren muss ein tolles Gefühl sein.
In den nächsten Jahren begann ich mich mehr mit dem Thema Radreisen auseinanderzusetzen und zum Glück war mein Kumpel Patrick auch ein begeisterter Radfahrer. So führte uns unsere erste kleine Tour nach Venlo und dann zu seinen Großeltern nach Kettwig, die selbst einige größere Radreisen unternommen hatten und deren Geschichten mich in meinem Vorhaben bestärkten. Unsere erste richtige Tour fand dann im Jahr 2007 statt: eine Woche lang fuhren wir völlig unvorbereitet und mehr oder weniger planlos 700km von Mönchengladbach nach Paris zur Schlussetappe der Tour de France.
Leider war das die bis heute letzte gemeinsame Tour, da es zeitlich einfach nicht mehr gepasst hat. Allerdings hatte ich weiter Lust an Radtouren und da keiner meiner anderen Freunde für ein solches Vorhaben zu begeistern war, machte ich alleine weiter. Im Sommer 2010 ging es 1200km den Rhein entlang, die Schweiz hindurch und die Alpen hinauf bis nach Saas-Grund. Im Sommer 2011 folgte dann auch die nächste Tour, die wieder ein Stück länger werden sollte. Diesmal war Barcelona das Ziel – 2100km entfernt am Mittelmeer hinter den Pyrenäen. Auch diese drei Wochen überstand ich schadlos und ich wusste, dass das nächste Ziel eigentlich nur mein langer Traum der USA-Durchquerung sein konnte…
Im Endeffekt muss jeder einmal so eine Reise unternommen haben, um den Reiz zu verstehen. Ich persönlich genieße die Ruhe, die man hat, wenn man ganz alleine vor sich hinradelt, die Natur genießen kann und auf Dinge und Leute trifft, die man im Flugzeug oder Auto nie sehen würde. Außerdem ist es eine Herausforderung, eine intensive Erfahrung und am Ende des Tages weiß man, was man getan hat – auch wenn ich jetzt schon weiß, dass ich mich vermutlich jeden Tag mehr als einmal fragen werde, warum ich das tue.